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Plädoyer für die Kurzarbeit

Claus Haubeil • Apr. 04, 2020

Keine Angst vor dem Instrument, um das uns die halbe Welt beneidet. Kurzarbeit schafft eine Win-Win-Win-Situation.


Unruhe zieht durch Deutsche Lande. Firmenchefs und Mitarbeiter gleichermaßen wissen meist nicht, was Kurzarbeit wirklich bedeutet. Kleinbetrieben erscheint sie als ein bürokratischer Moloch. Viele Unternehmen haben keine Erfahrung und für die jüngeren Mitarbeiter ist sie per se neu.

Mit diesem Beitrag möchte ich Ihnen die Sorgen vor Kurzarbeit nehmen. Kurzarbeit ist ein sehr wirkungsvolles Instrument. Den Erfindern aus den 30er Jahren sollte nachträglich der Wirtschaftsnobelpreis verliehen werden. 

Den ersten Kontakt mit Kurzarbeit hatte ich 2005. Damals durfte ich als Finanz- und Personalleiter eines mittelständischen Betriebes dieses Neuland erstmals betreten. Bedingt durch extremes Anziehen der Kosten für Stahl mussten wir die Verkaufspreise für unsere Flugzeugschlepper innerhalb kürzester Zeit um mehr als 10% erhöhen. Unseren Kunden hat das nicht gefallen. Sie wollten die Aufpreise nicht bezahlen und warteten ab. Ein dramatischer Rückgang bei Bestellungen und Beschäftigung war die unmittelbare Folge. Nachdem die Zeitkonten auf Null, bestehende Urlaubsansprüche verbraucht und Leiharbeiter nach Hause geschickt waren, wollten die Kunden noch immer keine neuen Aufträge platzieren. Es war frustrierend. Was nun? Unser Betriebsrat wies mich auf die Möglichkeit von Kurzarbeit hin. Ich hatte damals keine Ahnung. Den Ideen von Gewerkschaften oder dem Arbeitsamt traute ich nicht über den Weg. Wir würden schon eine Lösung finden... Long story short: Wir führten für 3 Monate Kurzarbeit ein. Überschaubarer Bürokratismus, Verlustbegrenzung, Sicherung der Beschäftigung - das Ergebnis stellte den Finanz- und den Personalchef zufrieden. Wir kamen mit einem "blauen Auge" davon und mussten keine unserer langjährigen, wertvollen Mitarbeiter entlassen.

Es gibt drei Gründe, warum ich Ihnen Kurzarbeit im Beschäftigungsrückgang der jetzigen Corona-Krise ans Herz legen möchte:

Erstens, Ihre Mitarbeiter werden es Ihnen danken. Kurzarbeit gibt Ihren Mitarbeitern Planungssicherheit. Zwar müssen sie auf einen Teil des Einkommens verzichten, aber bei einer Kündigung müssten die Beschäftigten auf deutlich mehr verzichten. Ein wichtiges psychologisches Momentum entsteht, das niemand unterschätzen sollte. Manche Mitarbeiter freuen sich sogar über die zusätzliche Freizeit bei halbwegs stabilem Einkommen. All jenen in Kurzarbeit steht ein Kündigungsschutz zu. Das beruhigt die Nerven ungemein, wenn augenscheinlich Ebbe beim Auftragseingang herrscht oder keine Teile mehr an- und ausgeliefert werden.  

Zweitens, Firmen haben durch Kurzarbeit maximale Flexibilität bei der Beschäftigung. Sie müssen nicht alle Mitarbeiter gleich behandeln. Sie können Kurzarbeit abhängig von der Beschäftigungslage einzelner Abteilungen steuern. Wir mussten beispielsweise die Produktion um 50% drosseln, während die Konstruktionsmannschaft Vollgas bei der Entwicklung neuer Produkte zu geben hatte. Normalerweise würden Sie die Vertriebsleute nicht zuhause lassen. Während Corona gibt es allerdings Betriebe, wo genau diese Personengruppe mangels Sozialkontakten als erstes ohne Beschäftigungsmöglichkeit dasteht. Durch die Reduzierung der Arbeitszeit und durch die anteilige Kosteneinsparung haben Betriebe einen erheblichen Kostenvorteil. Der Staat trägt einen Großteil der Lasten und Sozialbeiträge. 

Für fragwürdig halte ich die häufig vorhandenen tariflichen Ausgleichszahlungen (z.B. auf ca. 90% des Nettolohns in der Metall- und Elektroindustrie). Das ist zwar luxuriös für Mitarbeiter dieser Branchen. Aber es passt nicht ins Bild, wenn "höhere Gewalt" im Spiel ist und der ungewollte Boxenstopp staatlich bzw. gesellschaftlich verordnet wird. Darüberhinaus gibt es Branchen wie den Einzelhandel oder Tourismus, wo solche Segnungen nicht zutreffen und die Betroffenen größere finanzielle Einschränkungen zu tragen haben. Hier fehlt es mir an Fairness und gesamtgesellschaftlicher Gleichbehandlung. Darüber wird im Nachgang oder bei längerer Dauer dieser Krise zu diskutieren sein.

Drittens, und jetzt kommen wir zur Win-Win-Win-Situation: Sogar unser Staat hat Vorteile durch die Kurzarbeit. Meist sehen wir zunächst nur die Belastung der öffentlichen Haushalte. Machen wir uns nichts vor: Sämtliche Steuerzahler einschließlich der Beschäftigten und Unternehmen werden diese Belastungen in der Zukunft wieder über Steuern in besseren Zeiten ausgleichen. Stellen Sie sich trotzdem vor, die Beschäftigten würden gekündigt anstelle in Kurzarbeit zu gehen. Somit wäre unser Staat (in Form des BMAS) sofort zu 100% in der Zahlungspflicht und müsste auf Sozialversicherungsbeiträge der Firmen und Beschäftigten verzichten. Ergo fährt sogar der Staat besser, wenn er Kurzarbeit zulässt bzw. regelrecht fördert.

Nachdem ich während der Finanzkrise 2009 viel intensiver mit Kurzarbeit befasst war, bin ich vom Sinn und Nutzen des Instrumentes "Kurzarbeit" absolut überzeugt. Ehrlich gesagt finde ich nichts Negatives daran. Seien wir als Deutsche Arbeitgeber und Arbeitnehmer stolz auf diese Option zur Beschäftigungssicherung und Kostenentlastung! Es gibt nichts Vergleichbares in Europa und dem Rest der Welt. Deutschland ist der Erfinder und andere haben es kopiert. Deshalb: Keine Angst vor Kurzarbeit! Dieses Instrument ist unverzichtbar für den Wirtschaftsstandort Deutschland. Ich bin sicher, viele werden in der Krise der nächsten Wochen und Monate schnell verstehen, warum diese Möglichkeit so großes Potenzial hat.

Trotzdem wünsche ich allen Beschäftigten und den Firmen, dass wir schnell zur Normalität zurückkehren können. Das ist noch wichtiger! Ein vollständiger Kollaps der Volkswirtschaften in Europa muss verhindert werden. Die Folgen wären fatal.

Bitte bleiben Sie gesund und halten Sie sich an Hygienevorschriften und Hinweise zur Vermeidung von Sozialkontakten! Vielen Dank.
Mit den besten Grüßen für diese herausfordernden Zeiten!
Ihr Claus Haubeil

P.S.: Ich werde hier in den nächsten Tagen noch einige nützliche Links zu Kurzarbeit ergänzen
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