Heute morgen war ein Leitartikel unserer Zeitung überschrieben "Wohlstand sichern - Hilfe für die Autoindustrie ist ohne Alternative". Weil die Automobilhersteller sehr unter der Corona-Pandemie leiden, gewinnt die Diskussion um Kaufanreize an Fahrt. Der coronabedingte "Lockdown" habe die Branche schwer in Bedrängnis gebracht. Die Politik scheint sich bereits weitgehend einig zu sein, dass dieser Schritt notwendig sein könnte. Es heißt weiter, Kaufprämien für Autos seien der Preis, den die Gesellschaft für die Abhängigkeit von der Industrie bezahle.
Nun, ich habe eine differenzierte Meinung zu diesem Vorschlag. Die Automobilbranche leidet genauso wie allen anderen Branchen unter der Corona-Pandemie. Im Gegenteil, es gibt einige wenige Branchen, die wesentlich stärker betroffen sind. Denken wir an die Luftfahrt oder den Tourismus. Bei beiden Branchen ist derzeit nicht absehbar, wie es weitergehen kann und wie die langfristigen Auswirkungen sein werden.
Zurück zu den PKW-Herstellern und ihren Zulieferern. Ich erinnere mich gut, wie während der Finanzkrise 2009 die Rufe nach Unterstützung laut wurden. Durchs Neckartal nahe unseres Wohnortes führt die Bundesstraße B10. Damals wurde sie "Straße der Kurzarbeit" genannt. Allerdings waren 2009 genauso wie heute nicht nur die Automobilzulieferer betroffen sondern fast die komplette Industrie. In Baden-Württemberg ist der Maschinenbau zuhause genau wie viele anderen Kernbranchen. Etliche Weltmarktführer und Hidden Champions sitzen hier. Das Wehklagen der Autohersteller wurde 2009 rasch erhört. Schließlich funktionierte die Lobby-Maschinerie in Berlin schon immer exzellent. Die damalige Regierung um Autokanzlerin Merkel erfand kurzerhand die Abwrackprämie. Kaufwillige Autofans erhielten Euro 2.500 vom Staat. Tatsächlich wurde der Verkauf von Neufahrzeugen angekurbelt. Die Autohersteller erholten sich schnell. Mir ist nicht bekannt, dass einer der großen Hersteller während der Finanzkrise 2009 rote Zahlen geschrieben hätte. Finanziert hat die Abwrackprämie damals niemand anderer als wir Steuerzahler. Bei 800.000 Beschäftigen in der Branche mag es durchaus eine angebrachte Vergleichsrechnung sein, ob der Staat besser Kurzarbeitergeld bezahlt oder Subvention in Form von Kaufprämien. Von solchen Berechnungen habe ich allerdings nie gehört.
2009 war ich Finanz- und Personalleiter eines mittelständischen Produzenten von Sonderfahrzeugen. Die Kunden waren Flughäfen und Airlines. Wir hatten Auftrags- und Umsatzeinbrüche von 50% zu verkraften. Wir mussten ungewöhnliche Maßnahmen ergreifen, um das zu kompensieren. Unsere Mitarbeiter waren monatelang zu Kurzarbeit gezwungen. Ein Verlust konnte im Geschäftsjahr 2009 nicht verhindert werden. Wir kamen nicht in den Genuss von staatlichen Kaufanreizen für Flugzeugschlepper. Andere Branchen mussten genau wie wir mit der schwierigen Situation zurechtkommen.
Es befremdet mich sehr, wenn bereits wieder Stimmen laut werden, die Automobilindustrie als große Beschäftigungsmaschine im Land müsse unterstützt werden. Mir fehlt dafür jedes Verständnis. Klar, die Hersteller haben einige Baustellen zu lösen. Denken wir an den Dieselskandal, der eigentlich ein Betrugsskandal an uns Kunden ist. Oder denken wir an die gesellschaftliche gewollte Transformation hin zur Elektromobilität. Ich komme nicht umhin, festzustellen, dass diese Probleme größtenteils hausgemacht sind. Frühzeitige Weichenstellungen bei der Elektromobilität wurden seit Jahren verschlafen. Die Lobbyarbeit funktionierte prima. Die Hersteller wähnten sich in seliger Ruhe vor den drohenden Veränderungen. Autofabrikanten aus China und den USA sind uns nun voraus. Zu lang klebten die deutschen Hersteller an fossilen Brennstoffen. Jetzt soll es wieder der Steuerzahler richten. NEIN sage ich, nicht schon wieder!
Die Corona-Pandemie ist ein globales Problem, das die gesamte Wirtschaft extrem belastet. Tourismus, Luftfahrt und manche andere sind deutlich stärker betroffen als die Automobilhersteller. Ich erwarte Fairness von unserem Staat. Es kann nicht sein, dass die einstige Vorzeigebranche, die im eigenen Land sehr viel Vertrauen der Autofahrer und der Gesellschaft verspielt hat, erneut bevorzugte Behandlung erfährt. Liebe Politiker, liebe Presse, bitte hören Sie auf, den Auto-Lobbyisten nach dem Mund zu reden! Es gibt hunderttausende anderer Betriebe und Millionen von Beschäftigen, deren Existenzen und Arbeitsplätze genauso gefährdet sind. Sorgen Sie bitte für Gerechtigkeit! Vielen Dank.